Sicherer AKW-Rückbau

Vergangenheit und Zukunft: Das AKW Unterweser wird durch Windenergieanlagen ersetzt, die durch elektrische Akkumulatoren ergänzt werden © Ra Boe / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de
Vergangenheit und Zukunft: Das AKW Unterweser wird durch Windenergieanlagen ersetzt, die durch elektrische Akkumulatoren ergänzt werden © Ra Boe / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de

Die Uhr tickt: Mit der Laufzeitverlängerung bis 15. April hat aus aktueller Sicht der Atomausstieg in Deutschland einen finalen Termin. Unabhängig von politischen Grundsatzentscheidungen kommt der Tag, an dem die Technologie aufwändig und sicher zurückgebaut werden muss.

Gemeinsam mit technologischen Partnern entwickelte und produzierte MicroStep zwei Strahlungsmesskammern, Typ RTM643NG, die von der Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) betrieben werden. © MicroStep Europa
Gemeinsam mit technologischen Partnern entwickelte und produzierte MicroStep zwei Strahlungsmesskammern, Typ RTM643NG, die von der Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) betrieben werden.
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Mit seinen vielfältigen Lösungen an CNC-Highend-Schneidanlagen mit Plasma-, Laser-, Wasserstrahl- und Autogenschneidtechnologie ist MicroStep in mehr als 50 Ländern in vielen hunderten Produktionen weltweit vertreten. Da Schneidanlage, Steuerung und Software aus einem Haus kommen, ist MicroStep auch gefragter Ansprechpartner für Sonderlösungen rund um den Zuschnitt und darüber hinaus. Beispielsweise für die Steuerung von Wasserkraftwerksturbinen oder bei unterschiedlichen Roboterapplikationen – aber auch beim Rückbau von Atomkraftwerken kann man MicroStep-Technologien einsetzen.

Die Geschichte begann mit einem Projekt in der Slowakei Mitte der 2000er Jahre: Gesucht wurden Lösungen zur Entsorgung des Blocks A1 des Kernkraftwerks Jaslovské Bohunice, 60 km nordöstlich der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Damals wurde in enger Zusammenarbeit mit technologischen Partnern ein Portfolio von Geräten zur Messung der Strahlung von in Behältern gelagerten nuklearen Abfällen (mit Gammasonden) und zur Messung der Radioaktivität der Abluft in den Schornsteinen der Anlage entwickelt. Seit 2007 hat MicroStep dutzende unterschiedliche Systeme an nukleare Entsorgungseinrichtungen, Nuklearinstitute und Kraftwerke geliefert – die meisten davon nach Mittel- und Osteuropa.

Rückbau, Entsorgung, Lagerung und weitere organisatorische Aufgaben

Mit der Lieferung von speziellen Strahlungsmesskammern an die EWN GmbH ist MicroStep-Technologie seit 2020 auch in Deutschland im Einsatz für den Rückbau von Atomkraftwerken. Die Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH, früher bekannt als Energiewerke Nord, ist ein staatliches Unternehmen, das sich auf den Rückbau und die Entsorgung stillgelegter Kernkraftwerke spezialisiert hat. Seit 1995 ist die EWN unter anderem für die ehemaligen Kernkraftwerke Greifswald/Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinsberg in Brandenburg zuständig.

Diese Tätigkeit ist aufwändig. Denn die Lebensdauer einer Kernkraftanlage endet nicht mit deren Abschaltung. Je nach Stilllegungsmethode kann die Rückbaudauer in Ausnahmefällen sogar länger sein als der aktive Betrieb. Ob sofortiger Rückbau oder Ausnahmefall – der Prozess nimmt jeweils viele Jahre in Anspruch.

Das zu untersuchende Material wird in einer Gitterbox (Abfallgebinde) per Kettenförderer in eine der Messkammern gebracht (Vordergrund). © MicroStep Europa
Das zu untersuchende Material wird in einer Gitterbox (Abfallgebinde) per Kettenförderer in eine der Messkammern gebracht (Vordergrund).
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Alles muss auf Strahlung überprüft werden

Schließlich gilt es die gesamte Einrichtung abzubauen. Das Kernkraftwerk ist weit mehr als der Kernreaktor selbst. Es gibt viele Komponenten wie Pumpen, Rohre und Betonbauten, die auf konventionellem Wege als Metallschrott oder als zerkleinerter Beton im Straßenbau sicher recycelt werden können. Durchschnittlich sind so rund drei Viertel der gesammelten Materialien wiederverwendbar. Die restlichen Materialien sind in unterschiedlichem Maße radioaktiv und müssen nach Möglichkeit dekontaminiert werden oder wie im Falle abgebrannter Brennelemente als radioaktive Abfälle sicher verwahrt und gelagert werden.

Ob Wiederverwertung oder Lagerung – das hängt von einem sorgfältigen Prüfverfahren ab. Durch eine umfassende Strahlungsmessung wird sichergestellt, dass die für das Recycling vorgesehenen Materialien nicht (mehr) gefährdend sind, dass der Dekontaminationsprozess ordnungsgemäß durchgeführt wurde und dass die Lagerbehälter für radioaktive Abfälle undurchlässig sind. Für den Schutz von Menschen, Tieren und Umwelt werden für diese Aufgaben spezielle maschinelle Systeme eingesetzt.

Enge Entwicklungspartnerschaft

Zur Überwachung und Sicherstellung der Gefahrgüter betreibt das EWN in Greifswald zwei Strahlungsmesskammern. 2020 waren die vorhandenen Geräte am Ende ihrer Lebensdauer angelangt und mussten ersetzt werden. Die eingesetzten Kammern waren Auslaufmodelle, entsprechend wurde der Markt nach modernen und dauerhaften Lösungen sondiert. Der Generallieferant von EWN für Strahlungsmessgeräte, die international tätige Mirion Technologies (Canberra) GmbH, holte sich geeignete Partner ins Boot – MicroStep und TechMart s.r.o., einen spezialisierten Anbieter von Strahlungsmesstechnik. Gemeinsam wurde in Rekordzeit eine Messkammer der neuen Generation, die RTM643NG, entwickelt. Zwei Komplettanlagen wurden schließlich hergestellt. Diese sind seitdem verlässlich im Einsatz.

Dr.-Ing. Alexander Varga, Entwicklungschef von MicroStep: „Mit der Erfahrung aus früheren Projekten konnten wir eine individuelle und hochautomatisierte Lösung entwickeln, die größtmögliche Sicherheit bietet und die Gewissheit, dass die recycelbaren Stoffe auch wirklich unbedenklich sind.“ © MicroStep Europa
Dr.-Ing. Alexander Varga, Entwicklungschef von MicroStep: „Mit der Erfahrung aus früheren Projekten konnten wir eine individuelle und hochautomatisierte Lösung entwickeln, die größtmögliche Sicherheit bietet und die Gewissheit, dass die recycelbaren Stoffe auch wirklich unbedenklich sind.“
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Automatisierte Lösung für größtmögliche Sicherheit

Jede der beiden Kammern ist mit einem Kettenförderband ausgestattet, das Behälter mit Material (Betonschutt, Erde, Metallteile oder gebrauchte Schutzausrüstungen) in die Messkammer selbst hin und wieder zurückbefördert. Auf dem Weg zur Kammer wird der Behälter automatisch gewogen und muss ein Tor aus Lichtstrahlen und Sensoren passieren. Dabei wird sichergestellt, dass die zulässige Größe nicht überschritten wird und es durch herausragende Teile nicht zu einer Kollision mit der Messkammer kommen kann.

Jede Messkammer ist mit speziellen, von TechMart gelieferten Bleiplatten abgeschirmt, die in einen Stahlrahmen eingelassen sind. In den Wänden und Türen auf der Innenseite befinden sich großflächige, hochempfindliche Szintillationszähler zur Strahlungsmessung, 16 in jeder Kammer, die in einer speziellen Messgeometrie angeordnet sind.

Bedient wird die Anlage außerhalb der Messkammer auf einer freistehenden Konsole, die mit einem Touchscreen mit moderner Benutzeroberfläche ausgestattet ist. Im Standard-Automatikbetrieb muss lediglich der Behälter aufgelegt und der „Start-Befehl“ erteilt werden.

Bei Bedarf kann der Bediener die Position des Waagentischs, des Behälters und der Fronttür aber auch manuell steuern. Die Messung selbst dauert in der Regel zwischen 10 und 30 Sekunden und liefert eines von zwei Ergebnissen: Die Strahlenbelastung liegt entweder unter dem von der deutschen Regierung festgelegten strengen Grenzwert und das Material kann für das allgemeine Recycling freigegeben werden, oder der Grenzwert wurde überschritten und das Material muss als radioaktiver Abfall behandelt werden.

Die erste Kammer wurde Ende 2020 geliefert, die zweite ein Jahr später. Beide sind seither durchgehend in Betrieb. „Mit der Erfahrung aus früheren Projekten konnten wir mit unseren Partnern eine individuelle und hochautomatisierte Lösung entwickeln, die dem Personal größtmögliche Sicherheit bietet und natürlich die Gewissheit, dass die recycelbaren Stoffe auch wirklich unbedenklich sind und nur die wirklich notwendigen Materialien als radioaktiver Abfall entsorgt werden müssen“, resümiert Dr.-Ing. Alexander Varga, Mitgründer und Entwicklungschef von MicroStep.

Web:
www.microstep.com