„… auf der Rutsche in die 3. Welt.“

Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH
Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH

Der KI-Experte Markus Ahorner, Gründer und Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH, sieht die Gefahr, dass sich Europa technologisch von der Weltspitze verabschiedet. Zumindest sei das in der KI und bei der Digitalisierung der Fall, behauptet er im Interview.

Sie sind Experte für Künstliche Intelligenz. Was macht Ihr Unternehmen genau?

Das Gebiet der KI, auf dem der rasanteste Fortschritt passiert, ist das „Maschinelle Lernen“. Auf diesem Gebiet arbeitet unser Unternehmen: Wir entwickeln Algorithmen und Datenmodelle für industrielle Optimierungen. Oder allgemeiner: Wir nutzen Datenmodelle für Analysen, für die Ursachenforschung und für konkrete Verbesserungen in industriellen Abläufen in Forschung, Entwicklung und Herstellung. Die Optimierungen sind vielfältig: Steigerung von Profit, Reduktion von CO2 oder anderen Emissionen, Verbesserung der Qualität et cetera.

Wie kann man Ihren Kundenkreis beschreiben?

Wir arbeiten fast ausschließlich für Konzerne, davon sind zwei Drittel in der Prozessindustrie, also Chemie, Energie und Pharma. Dort werden sehr große Mengen oder sehr teure Güter produziert; und wenn man eine Verbesserung von nur wenigen Prozent erreicht, sind das bereits sehr große Geldbeträge oder Emissionsreduktionen. Einige unserer Kunden kommen aus dem Handel oder aus der Logistik. Und wir unterstützen die Instandhaltung und die technischen Services, für die wir auch neue, digitale Geschäftsmodelle entwickeln.

Wie funktioniert KI prinzipiell?

Maschinelles Lernen funktioniert empirisch. Das bedeutet, dass der Computer in den Daten die Regeln erkennt, nach denen die Daten entstanden sind. Er passt sein Programm diesen Daten immer wieder an, wenn sich die Daten verändern. Das ist der Unterschied zum klassischen Programmieren.

Früher legten die Programmierer erst die Regeln und die Programmfunktionen fest und fütterten dann das System mit Daten. Wir gehen den umgekehrten Weg: Wir holen die Daten aus großen Speichern ab, zum Beispiel Prozessdaten aus Produktionsabläufen oder Zustandsdaten aus Maschinensteuerungen, und der Computer entwickelt vollautomatisch ein Datenmodell daraus.

Natürlich weiß das KI-System nicht, wie die Daten entstanden sind. Aber es kann erlernen, die Daten in passende Gruppen einzuordnen, wie das Sortieren von Äpfeln und Birnen. Das tut es anhand der Eigenschaften der Daten. Wir nennen das klassifizieren.

Oder das KI-System kann eine Formel finden, die beschreibt, wie die reale Umgebung funktioniert. Das nennen wir Regression. Wenn das System diese Formel gefunden hat, kann es mit Hilfe dieser Formel bessere Betriebspunkte ausrechnen oder einen Ausfall vorhersagen.

Wie für Schüler, die lernen, Textaufgaben zu lösen, ist die Aufgabe nicht das Auswendiglernen, sondern die Muster und die Idee dahinter zu erkennen. Um auch in neuen und unbekannten Situationen Lösungen finden. Und ganz ähnlich funktioniert das Maschinelle Lernen.

Was hat der Nutzer davon, wenn er KI einsetzt? Merkt er überhaupt, ob in einem Anwendungsprogramm KI steckt oder nicht?

In der Produktion entsteht der Nutzen dadurch, dass man Kosten senkt, schneller wird oder Produkte mit besserer Qualität erzeugt. In der Logistik kommen Güter pünktlicher an ihr Ziel. Und in der Instandhaltung werden der Betrieb und die Reparaturen planbarer, kostengünstiger und auch ausfallsicherer. Menschen können mit KI-Unterstützung schneller bessere Entscheidungen treffen und auch in Situationen, in denen sehr viele Informationen auf sie einwirken, besser die Übersicht behalten.

Nehmen wir ein Beispiel: Eine hochautomatisierte Fabrik ist äußerst komplex, und sie erzeugt  sehr viele Daten. Weil sich die Daten und die Produktionsbedingungen so schnell ändern, kann kein Mensch mehr in allen Situationen die optimalen Einstellungen für alle Maschinen und Anlagen finden. Da steckt also sehr viel Verbesserungspotenzial. KI setzt diese Daten automatisch in ein Datenmodell um und findet selbstständig die optimalen Einstellungen. Ändert sich die Fabrik oder ändern sich die Daten, wird neu gelernt. So halten dann zum Beispiel Maschinen länger, oder die Produktionsmenge steigt und die Produktionskosten und die CO2-Emissionen sinken.Natürlich weiß der Anwender, dass die KI ihn bei den Entscheidungen unterstützt, aber er merkt es im Alltag nicht.

Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH
Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH

Vor einigen Monaten haben Sie Alarm geschlagen, weil Deutschland in der KI-Implementierung immer weiter zurückfalle. Gegenüber wem?

Gegenüber sich selbst, und damit gegenüber dem Rest der Welt, glaube ich. Das liegt an unserer jahrzehntelangen Ingenieurtradition. Wir sind Spezialisten für Dinge, die man anfassen kann, Maschinen, Autos, Stahl ganz allgemein – also den Maschinenbau. Wir sind traditionell auch sehr gut in Chemie und Pharma. Das sind aber Erfindungen, die im Kern schon hundert Jahre alt sind.

Doch wir sind nicht gut in Software. Software-Entwicklung haben wir förmlich verschlafen. Ich treffe viele Manager, die bis heute die Geschäftsmodelle von Amazon, Facebook oder Google nicht richtig verstanden haben. Und nicht nur sind wir um Jahre zu spät dran: Auch das Aufholen wird ständig schwieriger. Denn die großen Digitalunternehmen entwickeln sich schneller weiter, als wir den bisherigen Rückstand aufholen können. Sie sitzen auf riesigen finanziellen Ressourcen und gigantischen Datenmengen. Der Abstand wird also immer größer. Denn: Digitale Entwicklungen verlaufen exponentiell. Es ist so eine Art Rekombination von Innovation: Wenn Sie zwei digitale Erfindungen kombinieren, haben Sie schon wieder eine neue. Und das passiert ständig irgendwo auf der Welt.

Nehmen wir den Autohersteller Tesla als Beispiel: Viele Menschen dachten lange, dass es bei Tesla primär um den Elektroantrieb ginge, Tesla aber ansonsten nicht so gut Autos bauen könne wie die tradierten Hersteller. Und sie dachten, der Rest sei eine gigantische Marketingblase.

Aber die Investoren sind doch nicht naiv! Wenn sie Tesla-Aktien kaufen, dann, weil Elon Musk eine Vision hat. Während nämlich in Deutschland an Spaltmaßen und Schweißnähten, also an der Fertigungstechnik, verbessert wird, sammelt Tesla fleißig Daten und entwickelt Automobil-Betriebssysteme und autonomes Fahren. Und ich befürchte, dass Tesla die Fertigungstechnik schneller hinbekommen wird als die deutschen Hersteller die Software.

Warum ist das so bedeutend? Die Datenmenge wächst exponentiell. Sie verdoppelt sich seit 1946 jedes Jahr, das heißt, die Menschheit hat letztes Jahr so viele Daten erzeugt wie in all den Jahren seit der Erfindung des Computers bis 2019 zuvor. Und dieses Jahr wird sich der Weltbestand an Daten wieder verdoppeln. Nun kann man sich die Frage stellen, wer diese Daten überhaupt verarbeiten soll? Menschen werden das nicht können, aber die Maschinen, also die KI.

Nur gilt: Wer heute nicht an der Spitze ist, wird da vermutlich auch nicht mehr hinkommen. Ich benutze gerne dieses Bild: Wir diskutieren hier immer noch, ob wir mit dem Taxi oder dem Bus zum Bahnhof kommen, während der Zug bereits abfährt. Das ist äußerst schade, denn bis vor zirka zehn, fünfzehn Jahren hätten wir meiner Einschätzung nach den Anschluss noch bequem schaffen können.

Als vor 10 Jahren das Thema Industrie 4.0 aufkam, schienen deutsche Unternehmen an der Spitze zu stehen. War das von vorne herein eine Illusion oder hat man das Thema nicht mit dem nötigen Nachdruck weitergetrieben?

Ich denke, wir hatten das Pech, dass wir im Maschinenbau technologisch an der Spitze standen. Nicht nur, dass man dann träge und zurückhaltend gegenüber Innovationen wird. Auch einen Bestand von Anlagen oder Fabriken nachträglich in die digitale Neuzeit zu bringen ist ja viel aufwendiger, als eine moderne digitale Struktur auf der grünen Wiese oder in der leeren Halle zu designen, aufzustellen und anzuschließen. Unsere Maschinen kommunizieren wenig untereinander, sie speichern wenig Daten, und die Datengewinnung ist aufwendig. Das ist ein Nachteil.

Zudem sind wir in Deutschland Weltmeister im Normieren. Normen haben einen ungeheuren Nutzen, sie festzulegen kostet aber Zeit, und dieser Gedanke passt heute überhaupt nicht mehr, schon gar nicht zur KI. Software-Entwickler scheren sich nicht groß um Normen. Das Produkt, das den Markt durchdringt, setzt häufig auch den Standard. Und wer mit Produkten nicht dabei ist, wird zukünftig auch keine relevanten Normen für ihre Anwendung setzen. Er wird, wenn er Pech hat, einfach erst gar nicht mehr beliefert.

Sie behaupten weiter, der Rückstand in der KI wachse exponentiell und sei heute schon nicht mehr aufzuholen. Warum ist das so?

Weil wir in Deutschland und Europa KI nicht aus der Industrie heraus fördern und entwickeln, sondern mit öffentlichen Geldern. Wie funktioniert es dagegen in den USA? Die Großen, wie Amazon, Apple, Google, Facebook, Tesla oder Netflix, treiben die Entwicklung. Denn sie haben früh das wirtschaftliche Potenzial der Verarbeitung sehr großer Datenmengen erkannt, und heute sind sie die profitabelsten Unternehmen auf dem Planeten.

Als Mathematikunternehmen machen wir seit vielen Jahren immer dieselbe Erfahrung: Es geht nicht immer um den wissenschaftlichen Fortschritt, sondern oft um das Umsetzen von Forschungsgeldern. Wir und viele Start-ups haben für viele Aufgaben fertige Lösungen in der Schublade. Das liegt daran, dass das datentechnische Lösungsprinzip immer gleich oder zumindest sehr ähnlich ist. Aber wir haben in Deutschland eine Forschungsindustrie. Sie verarbeitet Fördergelder, weil beide ja nun mal da sind – die Gelder und die Institute. Auch, wenn dann von irgendwelchen Instituten nochmal auf Gebieten geforscht wird, die seit langem schon in ähnlicher Form bekannt sind. Ich traue mich zu sagen, dass gerade in Deutschland viele kleine Unternehmen weiter sind als manche Universität, mit zunehmendem Trend.

Was sind die Folgen dieser Entwicklung?

Ich befürchte, dass wir uns diese Zeitverluste nicht mehr leisten können. Sie führen über kurz oder lang zu einer Deindustrialisierung, weil wir uns auf diese Weise zur verlängerten Werkbank machen. Nehmen wir als Beispiel wieder Tesla. Warum gehen die nach Deutschland? Sie setzen sich damit direkt ins Herz der Automobilindustrie: Demnächst werden Teslas aus Deutschland kommen, das ist ein Gütesiegel.

Warum sollte Elon Musk nicht alle guten Fertigungstechniker erbarmungslos abwerben? Dann wären Spaltmaße und Schweißnähte in kurzer Zeit kein Thema mehr. Er würde ebenso gut Karosserien fertigen wie die deutschen Premiumhersteller. Aber trotzdem werden die deutschen Hersteller auf Jahre hinaus keine Software können. Für mich sind die Karten schon verteilt.

Neben KI nennen Sie Quantenrechner als Beispiel für eine verlorene Zukunftstechnologie. Wie ist da die Situation für uns?

Da bin ich auf die Meinung Dritter angewiesen, ich bin kein Experte auf dem Gebiet. Aber wenn der Quantencomputer kommt, wird er in der Industrie nichts stehen lassen, er wird die nächste Revolution in der Computerindustrie. Das wird natürlich nicht schlagartig passieren, aber er wird sich allmählich und konsequent etablieren. Ich erwarte, dass die ersten industriellen Quantenrechner in fünf bis zehn Jahren verfügbar sind. Damit sind alle derzeit gängigen Verschlüsselungen, auch für Kryptowährungen, obsolet. Ein Quantencomputer knackt die aktuellen Codes in Sekundenbruchteilen. Er ermöglicht Skaleneffekte in der Chemikalien- und Pharmaentwicklung, von denen wir heute nicht einmal träumen können.

Experten aus der Computational Chemistry und den Life Sciences sagen mir, dass auch auf dem Gebiet der Quantencomputer die US-Unternehmen einen großen Vorsprung haben. Momentan ist das noch industrielle Spielwiese, aber wenn wir uns nicht schnellstens – mit viel Geld – die besten Leute nach Europa holen, werden wir womöglich auch dieses Spiel verlieren.

Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH
Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH

Know-how und Computerprogramme kann man kaufen. Was wäre so schlimm daran – die Kosten, die Abhängigkeiten?

Wer Programme kauft, kauft die Anwendung, aber nicht das Know-how. Bisher behielten wir in Deutschland an wichtigen Erfindungen das geistige Eigentum. Andere konnten etwas nachbauen, aber nicht selbstständig weiterentwickeln. Damit wurden wir reich, und die anderen blieben mehr oder weniger zurück. Nun dreht sich der Spieß.

Jetzt entwickeln die anderen, und wir kommen nicht mehr mit. Ich sehe das wirklich recht dramatisch: Wenn wir nicht ganz schnell sind, rutscht Europa auf der schiefen Ebene in die Dritte Welt. Das passiert natürlich nicht in den nächsten fünf Jahren, denn wir haben in Deutschland noch Eingemachtes im Keller. Aber über eine Generation gesehen, kann es schnell gehen.

Meine Tochter ist Mathematikerin, meine beiden Söhne studieren Informatik. Ich befürchte nicht, dass sie arbeitslos werden, ganz im Gegenteil. Aber ich werde ihnen auch nicht bedingungslos zuraten, für den Rest ihres Lebens in Deutschland zu bleiben.

Sie sagen, dass aus dem Rückstand in der KI-Nutzung höhere Produktionskosten resultieren, die im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit geringere Löhne und Gehälter erzwängen. Heißt das, wir müssen uns mittelfristig von unserem Wohlstand verabschieden?

Es gibt nicht mehr viele weiße Flecken auf der Landkarte, auf denen wir noch die Chance haben, in die IT-Weltspitze aufzusteigen. Hätten wir um 2013 das Thema Autonome Fabrik vorangetrieben, hätten wir die Chance gehabt, Produktion aus Billiglohnländern zurückzuholen und gleichzeitig kluge Fabriken in die Welt zu verkaufen. Da ist aus meiner Sicht aber viel zu wenig passiert. Wenn uns das nicht doch noch schnell gelingt, werden wir uns zumindest von einem wichtigen Baustein unseres Wohlstands verabschieden müssen.

Sie befürchten den Untergang des deutschen Mittelstandes. Worauf basiert Ihre Annahme? Schließlich muss sich der Mittelstand seine Maschinen- und Produktionssteuerungsprogramme samt Lizenzen ohnehin kaufen – egal, ob sie aus den USA, aus China oder Deutschland kommen.

Die Abstiegsbedrohung ist kein KI-Phänomen, sondern ein Effekt der Digitalisierung. Digitalisierung bevorzugt große Unternehmen, die große Stückzahlen produzieren – aus einem Grund: Die Grenzkosten (die erste Ableitung der Produktionskostenkurve) gehen – zumindest theoretisch – gegen null. Kleine Unternehmen haben kaum geringere Investitionskosten, um bei der Digitalisierung dabei zu sein, aber ihre Investitionen skalieren schlechter, sobald sie einen kleinen Zielmarkt haben.

Das gilt natürlich besonders für das B2B-Geschäft, wo man ja nicht acht Milliarden potenzielle Smartphone-Kunden hat. Relativ gesehen, sind IT-Investionen also umso teurer, je kleiner das Unternehmen ist.

Bisher war der Mittelstand Stütze und Stärke der deutschen Wirtschaft. Warum glauben Sie, dass er künftig zum Klotz am Bein wird?

Eben wegen der geringen Grenzkosten: Die Digitalisierung bevorzugt große Unternehmen mit hoher Durchdringung von Massenmärkten. Nicht nur bei den Skaleneffekten, auch bei den Mitarbeitern: Wenn ein Mittelständler bisher etwas Neues entwickeln wollte, ging er an eine regionale Uni, holte sich ein paar Absolventen und legte mit dem neu erworbenen Wissen los.

In der IT geht das nicht mehr so einfach, denn das KMU wird die Informatiker zukünftig vielleicht gar nicht bezahlen können. Und die wollen auch nicht unbedingt nach Ostwestfalen oder aufs Land in Niederbayern, sondern in schicke Städte wie Hamburg, Berlin, München oder Leipzig – und vom Home-Office aus arbeiten.

Solche Leute möchten nicht in die Provinz, und sie stehen nicht auf Ölgeruch in Werkshallen. Und sie können sich das erlauben. Überspitzt gesagt.

Dazu kommt das Kommunikationsproblem: Maschinenbauer und Informatiker verstehen einander schlecht. Wer die Automobilentwicklung kennt, weiß, wie oft die beiden Fakultäten aneinander vorbeireden. Zusätzlich gibt es in deutschen Konzernen wenig Führungskräfte, die ein Team mit Mathematikern oder Informatikern führen können. Bei Google und Apple, bei Tesla und Facebook ist es anders, deswegen sind solche Unternehmen so attraktiv für diese Menschen.

Zusammengefasst: Wir haben einen Investitionsstau, wir haben einen Bildungsrückstand, vor allem im MINT-Bereich, und wir haben wenig attraktive Arbeitsplätze für Informatiker und Mathematiker. Daher fürchte ich, dass es den Mittelstand, allen voran die tradierten Automobilzulieferer, schwer treffen wird. Meine Prognose ist, dass Regionen mit hoher KMU-Dichte, wie etwa in Baden-Württemberg, ein enormer Abstieg droht, wenn die dort nicht schleunigst gegensteuern.

Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH
Markus Ahorner, Geschäftsführer der Ahorner & Innovators GmbH Bild:Ahorner & Innovators GmbH

Menschen bekommt man nicht mit Daten satt. Wir werden immer Güter und Dienstleistungen unterschiedlichster Art benötigen. Können wir nicht den ganzen „EDV-Kram“ anderen überlassen und uns auf die physische Welt konzentrieren? Oder werden wir dann 3. Welt?

Wir werden natürlich auch die analoge Welt der Güterherstellung weiter optimieren, aber das hat einen großen Haken: Deutschland ist ja nun mal nicht für seine supergünstigen Herstellkosten bekannt. Wenn man zukünftig weiterhin schwerpunktmäßig analog produzieren will, werden sich die Herstellkosten massiv als Wettbewerbsnachteil auswirken. Wenn wir sie auf ein internationales Niveau senken wollten, müssten wir nicht nur unsere Energiekosten, sondern auch unsere Löhne und Gehälter dem internationalen Durchschnitt annähern, und das würde unserem Sozialsystem sehr weh tun.

Wenn wir aber nicht die neue 3. Welt werden wollen, dann brauchen wir Vorteile, die alle anderen nicht haben. Doch Bleche tiefziehen und stanzen können mittlerweile auch andere. Und schon sind wir wieder bei der Geistesarbeit, aber Geistesarbeit wird sich zunehmend mit KI digitalisieren lassen. Wenn also unser geistiger Wettbewerbsfaktor nicht in KI und Digitalisierung steckt, wo dann?

Kann durch eine gemeinsame Anstrengung, einer Technologie-Allianz von Industrie, Wissenschaft und Staat, vielleicht doch noch irgendetwas gerettet werden? Was müsste man tun? Oder stehen wir vor dem Höllentor: „Lasciate ogni speranza!“?

Der Satz ist gut, er ist aus der Göttlichen Komödie. Und Dante hatte einen guten Führer, Vergil, ein hochgebildeter Mann seiner Zeit.

Der Schlüssel zum Erhalt unseres Wohlstands ist aus meiner Sicht über Bildung und Ausbildung. Aber leider sehe ich in Deutschland ein fundamentales Bildungsproblem. Wir müssen lernen, Hochbegabungen zu erkennen und zu fördern – und nicht zu unterdrücken.

Das gilt nicht nur für Einheimische: Wir haben Millionen Zuwanderer, unter denen sich je nach Definition so und so viel Prozent Hochbegabte befinden. Das sind Zehntausende Menschen. Wir haben aber kaum eine Chance, sie zu entdecken. Stattdessen hindern wir sie mit Formalien an ihrer Entwicklung, lassen sie als Kurierfahrer, Packer oder Reinigungshilfskräfte arbeiten, wenn überhaupt. Wir verschleudern ungeheuer viel Potential.

Auch unter dem Rest der Bevölkerung übersehen wir viele Begabungen. Natürlich benötigen wir auch Technologieallianzen, aber meine Frage lautet: mit welchen Köpfen? Wo ist die nächste Generation von Mathematikern, Informatikern, Physikern und ganz speziell ausgebildeten Ingenieuren?

Und wir dürfen eines nicht vergessen: Wenn wir heute eine Bildungsoffensive starten würden, dann würden wir die ersten Erfolge erst in 20 Jahren sehen. Das ist sehr viel Zeit angesichts der digitalen Entwicklung. Und wir haben ja noch nicht mal angefangen!

Eine Hoffnung habe ich dennoch: Wir haben hier in Deutschland eine wirklich fruchtbare Start-up-Landschaft. Da gibt es hervorragende Naturwissenschaftlicher, Informatiker, Ingenieure und Mathematiker, die leider behindert werden durch einen sehr langsam wachsenden Digitalmarkt und durch Kapitalmangel. Die Industrie ist zu zögerlich, und risikobereite Investoren sind in Deutschland Mangelware.

Das Spiel ist noch nicht ganz zu Ende, aber viele Spielfelder haben wir nicht mehr. Eines ist vielleicht die Autonome Fabrik, aber auch da müssen wir auf die Tube drücken.