„Grüne“ Rohre

Recycler haben es leichter: Auf der Lichtbogenofenroute entsteht 75 Prozent weniger CO2 als auf der leider immer noch unverzichtbaren Hochofenroute. © Benteler
Recycler haben es leichter: Auf der Lichtbogenofenroute entsteht 75 Prozent weniger CO2 als auf der leider immer noch unverzichtbaren Hochofenroute. © Benteler

Die aktuellen geo- und wirtschaftspolitischen Krisen drängen ein Thema in der öffentlichen Diskussion immer mehr in den Hintergrund: den Klimawandel. Doch sollen die internationalen Klimaziele der EU bis 2050 noch erreicht werden, ist rasches Handeln erforderlich. Zudem zeigt die derzeitige Energiedebatte, dass ein Umdenken hinsichtlich der Energienutzung nötig ist – auch in der Industrie.

Grüner Stahl gilt als entscheidend für den Weg zu einer nachhaltigen Stahlindustrie. Doch wie stellt man grünen Stahl her? Vor dieser Herausforderung stehen viele produzierende Unternehmen in der Stahlindustrie. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel bildet unter anderem CO2-arm produzierter Elektrostahl. Bei dessen Herstellung gilt Benteler Steel/Tube mit Hauptsitz in Paderborn als führend.

Auch wenn man es ihnen nicht ansieht: Diese Knüppel aus dem Benteler-Stahlwerk Lingen sind nach Stand der Technik „grün“. © Benteler
Auch wenn man es ihnen nicht ansieht: Diese Knüppel aus dem Benteler-Stahlwerk Lingen sind nach Stand der Technik „grün“.
© Benteler

CO2-reduzierte Elektrostahlproduktion im Emsland

Die Division Steel/Tube des Metall-Prozess-Spezialisten Benteler engagiert sich schon lange für eine nachhaltige Stahlproduktion. Im niedersächsischen Lingen betreibt das Unternehmen seit 1974 ein Elektrostahlwerk. Hier produziert Benteler in einem Elektrolichtbogenofen CO2-reduzierten Stahl, der in den Warmrohrwerken Dinslaken und Schloss Neuhaus zu nahtlosen Rohren verarbeitet wird.
Für die Elektrostahl-Produktion verwendet das Werk ausschließlich Stahlschrott, der recycelt wird und damit Teil einer ökologischeren Kreislaufwirtschaft wird. Die Vorteile: Dieses Material ist nicht nur in großen Mengen und guten Qualitäten verfügbar, sondern besitzt dank seiner Recyclingfähigkeit auch einen niedrigen „CO2-Fußabdruck“.

Elektrostahl-Herstellung erzeugt über 75 Prozent weniger CO2

Dies belegen nun auch die ersten PCF-Zertifizierungen durch die Umweltgutachter von GUTcert (PCF = Product Carbon Footprint). Der CO2-Fußabdruck für Produkte umfasst die ausgestoßenen CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zur Bereitstellung des fertigen Produktes für den Kunden („cradle to gate“).
Die unabhängigen Untersuchungen – konkret für eine Stahlbramme in einer niedriglegierten Güte – haben ergeben, dass die Stahlherstellung im Elektrolichtbogenofen im Vergleich zur üblichen Hochofenroute über 75 Prozent an CO2-Emissionen einspart. Bei der herkömmlichen Hochofenproduktion, bei der Kokskohle verbrannt wird, entsteht folglich mehr als das Vierfache an Emissionen. Durch die Nutzung erneuerbarer Energien können die CO2-Emissionen der Elektrostahlproduktion sogar nochmals halbiert werden.

Im niedersächsischen Lingen betreibt Benteler seit 1974 ein Elektrostahlwerk. © Benteler
Im niedersächsischen Lingen betreibt Benteler seit 1974 ein Elektrostahlwerk.
© Benteler

Zertifizierung für nahtlose CO2-reduzierte Rohre

Neben dem Elektrostahl aus dem Lingener Werk hat GUTcert auch die ersten daraus gefertigten Rohre zertifiziert: Ein im Werk Schloss Neuhaus hergestelltes Warmrohr sowie ein kalt gezogenes Präzisionsstahlrohr. Mit Stahl aus dem Hochofen lägen die Emissionen um ein Vielfaches höher.
Diese verifizierten Emissionsnachweise ermöglichen Benteler, seinen Kunden unabhängig geprüfte Informationen zur Nachhaltigkeit seiner Produkte zur Verfügung zu stellen. Kunden können die zertifizierten Emissionswerte somit in ihre eigene CO2-Bilanz einrechnen. Benteler unterstützt seine Kunden damit auch beim Erreichen ihrer eigenen Nachhaltigkeitsziele und plant deshalb, die Zertifizierung seiner Produktpalette langfristig weiter voranzutreiben.

Nächster Schritt: CO2-Neutralität bis 2045

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stahl- und Rohrproduktion sind dies wichtige Schritte, die Benteler Steel/Tube eine gute Ausgangslage für die beiden nächsten großen Ziele verschaffen: Die Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2030 und CO2-Neutralität bis 2045. Um diese zu erreichen, hat die Division Steel/Tube im Jahr 2020 das Programm „Grüne Rohre“ gestartet, das sich mit der CO2-Reduktion in der Rohrherstellung befasst. Dabei wird in Schritten vorgegangen und zwischen direkten, indirekten und Emissionen aus vorgelagerten Prozessen – im wesentlichen eingekauften Waren – unterschieden. Direkte, bei der Produktion entstehende Emissionen (Scope 1) sollen demnach bereits bis 2030 CO2-neutral werden. Ebenso indirekte Emissionen, die durch den Zukauf von Energie anfallen (Scope 2). Die Emissionen, die auf Beschaffungsseite entstehen (Scope 3) sollen bis 2030 zunächst um 30 Prozent reduziert werden. Ab 2045 sollen dann sowohl die Lieferketten als auch die Produktion und die Produkte vollständig CO2-neutral sein.

Als Mitglied der Verbandsinitiative „Carbon Reduced Tubes & Pipes“ der Wirtschaftsvereinigung Stahlrohre hat sich die Division Steel/Tube zudem dazu verpflichtet, den „Weg zum CO2-neutralen Stahlrohr“ zu initiieren und umzusetzen. Gemeinsam mit den anderen Teilnehmern will das Unternehmen Synergien nutzen, um systematisch und effizient die CO2-Emissionen seiner Produkte zu reduzieren.

Wie Benteler das erreichen will? Unter anderem durch die Verwendung von CO2-reduziertem Vormaterial für geschweißte Rohre und durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Benteler hat bereits konzernweit damit begonnen, seine Werke auf grünen Strom umzustellen. Seit vergangenem Jahr werden beispielsweise alle spanischen Automotive-Werke mit erneuerbaren Energien betrieben. Die anderen Werke werden schrittweise folgen.

Stromversorgung aus regenerativen Energiequellen erfolgskritisch

Es gilt jedoch auch noch Herausforderungen zu überwinden. Denn für die Umsetzung der Ziele ist eine ausreichende Versorgung mit Strom aus regenerativen Energiequellen zu wettbewerbsfähigen Preisen erfolgskritisch. Das schließt auch die erforderliche Infrastruktur mit ein. Neben grünem Strom kommt auch grünem Wasserstoff eine immer wichtigere Rolle zu. Letzteren möchte Benteler nutzen, um gasbetriebene Öfen zur Wärmebehandlung durch klimafreundlichere „H2 Ready Brenner“ zu ersetzten. Doch auch für die Herstellung von grünem Wasserstoff ist Strom aus erneuerbaren Energien nötig. Dies bedeutet, dass der Bedarf an grünem Strom sowohl bei Benteler als auch in der gesamten Industrie massiv steigen wird. Experten gehen davon aus, dass bis 2045 etwa 600 Gigawatt installierte Kapazität an erneuerbaren Energien benötigt wird. 2021 waren es gerade einmal 140 Gigawatt.

Um die Industrie mit ausreichend grünem Wasserstoff zu versorgen, müssen zudem Infrastrukturprobleme gelöst werden. Aktuell existiert weder ein flächendeckendes Transportnetz für Wasserstoff, noch ist bereits absehbar, welche Regionen künftig an ein solches Pipeline-Netz angeschlossen werden. Unternehmen benötigen für die Transformation jedoch Planungssicherheit.

Sie sind bei Benteler für „grüne“ Stahlrohre verantwortlich (von links nach rechts): Ralf Brunnert, Direktor SHE & Operation Services sowie Programmleiter “Grüne Rohre“ bei Benteler Steel/Tube; Dr. Tobias Braun, Geschäftsführer Benteler Steel/Tube; Christian Wiethüchter, Geschäftsführer Benteler Steel/Tube; Thomas Begemann, Direktor Strategie/Kommunikation und Projektmanagement, sowie Programmleiter “Grüne Rohre“ bei Benteler Steel/Tube © Benteler
Sie sind bei Benteler für „grüne“ Stahlrohre verantwortlich (von links nach rechts): Ralf Brunnert, Direktor SHE & Operation Services sowie Programmleiter “Grüne Rohre“ bei Benteler Steel/Tube; Dr. Tobias Braun, Geschäftsführer Benteler Steel/Tube; Christian Wiethüchter, Geschäftsführer Benteler Steel/Tube; Thomas Begemann, Direktor Strategie/Kommunikation und Projektmanagement, sowie Programmleiter “Grüne Rohre“ bei Benteler Steel/Tube
© Benteler

Transformation erfordert Innovationen und Unterstützung durch Politik

Für eine erfolgreiche Transformation wird die Industrie daher in den kommenden Jahren auf Unterstützung aus der Politik sowie durch die Energieversorger angewiesen sein.
Auch Benteler möchte seinen Beitrag zum Aufbau von Wasserstoff-Verteilnetzen leisten und hat dazu spezielle nahtlose, warmgewalzte Leitungsrohre – Benteler Hyresist – entwickelt, die den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur unterstützen.
Seine Innovationskraft hat Benteler in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Damit möchte der Metall-Prozess-Spezialist neben seiner eigenen Transformation auch andere Unternehmen aus der Industrie und dem Mobilitätsektor dabei unterstützen, ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Für sein Engagement wurde Benteler Steel/Tube im Juni 2022 im Rahmen des EcoVadis-Nachhaltigkeitsratings mit der Silbermedaille ausgezeichnet. Damit gehört das Unternehmen zu den besten 25 Prozent der zertifizierten Unternehmen in der Kategorie „Herstellung von Roheisen und Stahl“ – eine Wertschätzung des bisherigen Engagements und Motivation für weitere Schritte auf dem Weg hin zu einer grünen Stahlproduktion.

Autor:
Thomas Begemann, Benteler Steel/Tube

 

Web:
https://www.benteler.com/